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Kreisau-Reise 2005
Die erste Kreisau-Reise fand vom 28. – 30. Oktober 2005 statt. Eine Gruppe von etwa 120 Stiftern der Freya von Moltke- Stiftung für das Neue Kreisau und deren Angehörigen besuchte am letzten Oktoberwochenende Kreisau/Krzyżowa, das ehemalige Gut des Generalfeldmarschalls von Moltke in Schlesien, ca. 60 km südwestlich von Breslau. Der Ortsname Kreisau ist heute eng verbunden mit dem deutschen Widerstand im Dritten Reich. Das Thema des Treffens war „das Neue Kreisau“ und wie Freya von Moltke dieses prägte.
Die Reise nach Krzyżowa/Kreisau erfolgte in vier Wagen eines Sonderzuges. Schon die Anzeigetafeln auf den Bahnhöfen in Berlin nach Krzyżowa stimmten auf die Bedeutung dieser Reise ein. Für das leibliche Wohl gab es einen Speisewagen, im Salonwagen wurde aus aktuellen Büchern zur deutsch-polnischen Befindlichkeit vorgelesen. Zuletzt war Kaiser Wilhelm II. im Sonderzug nach Kreisau gereist.
Den Rahmen des Treffens bildete am Freitagabend ein Klavierkonzert von Veronica Jochum von Moltke und am Samstagabend eine Darstellung des Lebens von Helmuth James von Moltke durch eine polnische Pantomine-Theatergruppe, deren Intensität sich keiner entziehen konnte.
Ein ökumenischer Gottesdienst in der kleinen, zu den Gutsgebäuden gehörenden katholischen Kirche belegte die innere Einstellung, aus der heraus die Vergangenheit und Gegenwart Kreisaus zu begreifen ist.
Die deutsche Geschichte der letzten 75 Jahre ist gut bekannt, vielen aus eigenem Erleben. Was bedeutet diese Geschichte für Kreisau/Krzyżowa nach dem 2.Weltkrieg?
In vier Podiumsdiskussionen wurde deutlich, dass zunächst Kreisau als ein Ort des deutschen Widerstandes völlig in Vergessenheit geraten war, die Gutsgebäude verfielen zunehmend, die Moltkeschen Grabstätten wurden verwüstet. Das Land bewirtschaftete eine LPG. Der polnische und die deutschen Staaten hatten aus verschiedenen Gründen wenig bis gar kein Interesse an der geschichtlichen Bedeutung des Ortes.
In Polen ist der Jurist Prof. Jonca aus Breslau aufgrund seines Interesses in den 60er und 70er Jahren an der Familie von Moltke und der Suche nach der geschichtlichen Wahrheit des Verhältnisses von deutschem Widerstand in Schlesien und polnischem Widerstand der Wiederentdecker von Kreisau. Seine Erkenntnisse flossen ein in die Arbeit des KIK – Klub der Katholischen Intelligenz – in Breslau, einem Kreis, der sich um internationale Verständigung bemühte und eine Begegnungsstätte schaffen wollte, die man sich in Kreisau vorstellen konnte. Die Bemühungen der Kirchen um Versöhnung, die Arbeit der Aktion Sühnezeichen in der DDR und der Eugen-Rosenstock-Huessy-Gesellschaft mündeten schließlich in die gemeinsame Idee einer europäischen Jugendbegegnungsstätte in Kreisau. Politisch waren diese Aktivitäten weder in Polen noch in den beiden deutschen Staaten erwünscht.
Nachdem in Polen Tadeusz Mazowiecki in der ersten demokratischen Wahl 1989 polnischer Ministerpräsident geworden war, ergab sich für die Bundesrepublik Deutschland die Möglichkeit zu intensiveren Gesprächen. Zwischen Bundeskanzler Kohl und Ministerpräsident Mazowiecki wurde ein Treffen für den 9. bis 12. November 1989 in Warschau vereinbart, anlässlich dessen am 12.11.1989 eine Versöhnungsmesse in Kreisau gefeiert werden sollte. Als am 9.11.1989 die Regierung der DDR zusammenbrach, die Mauer in Berlin fiel, war die deutsche Wiedervereinigung in greifbarer Nähe, Helmut Kohl reiste von Polen kurzfristig nach Berlin und schaffte es am nächsten Tag zur Versöhnungsmesse wieder in Polen zu sein.
Völlig überraschend für alle die, die bis dahin an der Einrichtung einer Begegnungsstätte in Kreisau gearbeitet hatten, beschlossen Helmut Kohl und Tadeusz Mazowiecki am 12.11.1989, aus den polnischen Zinsen deutscher Kredite Kreisau wieder aufzubauen. Dank der Vorarbeiten des Breslauer KIK wurde dieser beauftragt, die erforderlichen Maßnahmen für eine Jugendbegegnungsstätte einzuleiten. 1990 wurden die notwendigen Regierungsabsprachen abgeschlossen. Die Stiftung Kreisau für Europäische Verständigung wurde mit deutsch-polnischer Beteiligung gegründet. Der Wiederaufbau des Berghauses, des Schlosses und der Gutsanlage begann. 1991 kam es zu den ersten Jugendtreffen in Kreisau, 1998 konnte Kreisau als Begegnungsstätte eingeweiht werden.
In Kreisau wird heute das Ziel europäischer Verständigung auf drei Ebenen verfolgt:
- der Gedenkstättenarbeit mit dem Berghaus als ehemaligem Wohnort der Familie von Moltke und Ort der Treffen des Widerstandskreises als Zentrum und einer Dauerausstellung im Schloss zu Widerstandsaktivitäten in den verschiedensten Ländern, dem deutschen Widerstand im dritten Reich sowie Widerstandsgruppen gegen das stalinistische System im Ostblock,
- der Begegnung von Menschen aus den verschiedensten Ländern, vorrangig durch Treffen deutscher und polnischer Jugendlicher aber auch aus anderen Ländern,
- der europäischen Akademie, die sich mit den Fragen der nahen Zukunft auf der Basis der Ideen des Kreisauer Kreises beschäftigen soll.
Kreisau verfügt über geeignete Übernachtungs- und Verpflegungsmöglichkeiten. Die Umgebung lädt zum Wandern ein, im benachbarten Ort Schweidnitz steht eine der drei nach dem 30jährigen Krieg gebauten evangelischen Friedenskirchen.
Heute kann man sagen, dass die Ziele einer Begegnungsstätte, wie sie sich die Gründer und vor allem Freya von Moltke, die Witwe des im Dritten Reich ermordeten Helmuth James von Moltke vorgestellt haben, in Kreisau erfolgreich umgesetzt werden. Die hohen Besucherzahlen belegen dies.
Im Juli 2005 wurde die „Freya von Moltke-Stiftung für das Neue Kreisau“ gegründet , um die Einrichtung zu unterstützen, damit die Verständigungsarbeit vor allem zwischen Deutschland und Polen, aber auch zwischen den anderen Ländern Europas langfristig weiter gefördert werden kann. Dies ist insbesondere erforderlich, da die öffentlichen Fördermittel immer geringer werden.
Der Wiederaufbau der Dresdener Frauenkirche ist ein gutes Beispiel für private Initiativen. Mindestens so bedeutsam wie der erfolgte Wiederaufbau der Frauenkirche ist die Arbeit an der Verständigung zwischen den Völkern in Europa, um die Auswüchse totalitärer Regierungen zu vermeiden.
Reisebericht von Hermann und Karin Franke